Eine Geraerin erzählt von ihrer Jugend im Krieg, welche sie zwischen Gera und Kraftsdorf, zwischen Bombenarlarm und Ängsten verbrachte. Warum sind Friedenskräfte nicht stärker als die, die Krieg begehen? Mit diesen Worten schließt Pfarrer Franz Beutel an seine Vorrednerin an, und begann seinen Vortrag. 1936 in Mainz am Rhein geboren als eines von 6 Kindern. Die Nationalsozialisten waren bereits drei Jahre an der Macht, was die Sozialisation der Heranwachsenden prägten. Franz Beutel besuchte die Schule in Straßburg (jetzt Albert Schweizer-Schule). Die Region war damals Deutsch besetzt. Dort verbrachte er seine Kindheit bis die Westalliierten Straßburg zurück erobern wollten. Nun war Franz Binnenflüchtling. Mit einem kurzen Zwischenstopp kamen sie am Ende in Woltersdorf (13km entfernt) bei Magdeburg beim Großvater an. „Als Magdeburg zerstört wurden ist, saßen wir in unserem Dorf in einem winzigen Keller. In meiner Angst, habe ich von Butter genascht. Bis heute kann ich den Geschmack noch schmecken. Als wir wieder raus kamen, sahen wir eine Feuerbrunst über Magdeburg. Mein Vater wurde kurze darauf zum Abbau von Flackabwehr abgeholt. Später wurde er als Gefangener in die Sowjetunion gebracht und inhaftiert. Dort verstarb er an der Ruhr.“ In der Jugend verstarb dann noch die Mutter, so berichtete Pfarrer Beutel weiter. Er und seine Geschwister wurden von Halbweisen zu Vollweisen. Glücklicherweise erbarmte sich die liebevolle Tante ihrerseits. Die Jugendlichen fragten nach seiner Kindheit im Krieg und er berichtete. In der Schule in Straßburg gehörte es dazu, zu erlernen, wie man Wasser mit Lappen erschlägt. Kühlschränke gab es noch nicht. Es gab einen Metallschrank, indem man Eisblöcke legte, so hielten Lebensmittel eine Weile frisch. Zudem wurde Sand auf dem Balkon gelagert, um Möhren über den Winter zu bekommen, zudem konnte man den Sand nutzen, um mögliche Feuerstellen, die durch eine Bombe oder Geschosse einschlagen, zu ersticken. Nach der Einschulung, so erinnert er sich, habe er zu Weihnachten ein Holzgewehr zum Spielen erhalten. Denn die Zeit war geprägt von Eroberungsstrategien im Kopf und Herzen. So lernten die Kinder spielerisch mit Gewehren umzugehen und es war für sie normal. Wir wuchsen mit Liedern auf, die man vom Balkon aus hörte. „Kurz wenn die Soldaten durch die Stadt Maschinerien, öffn die Mädchen die Fenster und Türen …“ Er fragt die Schüler, was zu ihnen passen könnte, was sie in Zukunft werden wollen. Die Berufe fand er spannend. Auch er habe damals eine Ausbildung begonnen, allerdings gab es nach dem Krieg auch Zeiten des Mangels und so hieß es: „Jetzt haben wir „Saure Gurkenzeit“ von der schönsten Arbeit hieß es nun, in die Gießerei zur dreckigsten Arbeit.“ Später ging er sechs Jahre nach Leipzig, ich wollte wieder was mit Musik und Holz machen. So kam er zum Orgelbau. Anschließend studierte er voller Zuversicht und Vertrauen auf Gott Theologie. Er hat 3 Kinder und 7 Enkelkinder und ist zeitlebens mit seiner großen Liebe verheiratet.
Tim: Wie haben Sie den Ausbruch des Krieg erlebt?
Pfarrer: Mit einem Lied, welches heute zum Glück nicht mehr gesungen werden darf: „Heute gehört die D und morgen die ganze W…“ Das nenne ich eine: „Verbrecherische Verführung von Menschen. Sie sangen selbst noch als in Rauch in der Nähe vom Balkon aufstieg oder während dessen. Ich kann es nicht genau sagen, aber es war nicht Schönes daran, wenn wenn man sich die Worte durchdenkt.“ Mein Vater, war wie so viele damals Mitglied der SS und NSDAP und ganz oben im Schrank hatte er seine Dienstpistole, das war unser Alltag. Immer wenn wir später mit der Eisenbahn in der Nacht Richtung Osten evakuiert wurden, habe ich erbrochen, denn das Gerumpel des Zuges bei nachts habe ich nie vertragen.“ Das Geräusch liegt heute noch in seinen Ohren.
Maya: Wie haben sie sich gefühlt als sie das erste Mal flüchten musste?
Pfarrer: So genau kann ich das nicht sagen, da man fixiert ist auf die Eltern. Die Eltern habe versucht alles abzuschirmen. Es war eben die schreckliche Zugfahrt, an die er sich nur so sehr erinnere. So viel habe er zum Glück nicht mitbekommen. Später habe er erfahren, da sind junge Leute erschossen wurden.
Izaldin: Hat der Krieg Ihren Alltag während Krieges und danach verändert?
Pfarrer: „Ich musste sehr zeitig lernen, was ich machen muss, wenn es brennt - Feuer löschen Fliegeralarm - lernen in Keller in Decken gehüllt.“ Ich habe Bahnenschienen überquert auf den Flackwagons standen, wenn ich in die Schule oder zum Baden wollte. Da stand dieser Wagon, auf den ein Vierlingsflack montiert war. Das war meine Kindheit. Wir wurden nach dem Krieg aus dem Dorf gejagt, die restliche Bevölkerung ebenso aufs Land in eine Scheune, währenddessen haben die sowjetischen Soldaten das Dorf geplündert und den Gutsbesitzer totgeschlagen. Danach durften wir zurück. Das Essen war rah. Zum Fleischer hatten wir 3 bis 4 km ins nächste Dorf zu laufen, um Wurstsuppe zu kaufen. Für den einen war es die Notversorgung, die anderen handelten damit. (In Wurstsuppe war keine Wurst, nur am Anfang der Zubereitung, danach wurde sie so lange gestreckt, bis nur noch die Fettaugen oben schwammen. Das war unsere Wurstsuppe.
Nazanin: Gab es einen Moment, indem sie die Hoffnung verloren hatte?
Pfarrer: „Nach dem Krieg als der Vater weggeholt wurde, ich die Mutter im Krankenhaus besuchte, und nach Hause gelaufen bin, da kam mir an den Bahngleisen ein sowj. Soldat entgegen. (Schweigen) Aber eigentlich begann in meiner Jugend, die Zeit des Glaubens. Als unsere Tante zu uns nahm und uns nicht weggab. Sie hat ihr Leben in Gottes Hände gelegt. Der Blick aus der Verzweiflun hat eine Wende für mich auf Hoffnung gegeben
Kolja: Haben sie Angst, ob Krieg noch einmal in dem Ausmaß passieren könnte?
Pfarrer: Kriege sind kein Zufallsprodukt. Kriege sind von Menschen gemacht. Seit 75 haben wir keinen Krieg in Europa. Das ist was besonderes, was wertvolles. In Sonneberg war ich in der christlichen Jugendarbeit tätig. 1979 entstand ein Kriegsprävention-Projekt „Schwerter zu Flutscharen“ 1989 zeigte die friedliche Wende, beginnend von der Johanniskirche bis zum Stadtgarten hoch gezogen, dass es auch ohne Gewalt geht. Aber auch hier wollten junge Menschen Scheiben zerschlagen, daran habe ich sie gehindert. Gewalt ist keine Option, niemals.
Carlo: Was war ihr schönstes Gefühl in der Kindheit?
Pfarrer: Die Entdeckung… Ich weiß nicht auf alles eine Antwort und dann kam die Erkenntnis, Jesus „Ich liebe alle Menschen“. Das war das Gefühl von höherer Geborgenheit. Und das Gefühl, war es, auch als meine Mutter starb. Ich war 14/15 Jahre, als ein Klassenkamerad zu mir sagte, wenn ich du wäre, würde ich mich aufhängen…Aber ich hatte meinen Glauben. Die Schüler bedankten sich beim Pfarrer Franz Beutel und beim Herrn Keßler (Leiter des Stadtmuseums) für die Möglichkeit.
Der Pfarrer mahnte mit den abschließenden Worten: „Was du denkst, daraus werden deine Worte - was du redest, daraus werden deine Taten. Handle gut, mit Kopf, Herz und Hand. Es kann jeder nach seinem Glauben und Gewissen entscheiden, welchen Weg er wählt, denn wir leben in einem freien Land.
Text und Bilder: Fr. Thomae